O.N: Grüß Gott Herr Professor (Prof. Gert Christian),
Pablo Picasso ist sogar einem wenig Kunstinteressierten ein Begriff. Sie haben Kunst studiert, war Picasso auch eines ihrer großen Vorbilder?
Prof. Christian: Kein Künstler kommt an Picasso vorbei. Vor allem sein Drang immer Neues, viele unterschiedliche Kunstarten, auszuprobieren, war für mich ein wesentlicher Einflussfaktor. Ich denke aber auch, dass sich viele meiner Bilder dem Stil und der Formgebung von Picasso vergleichen lassen.
Pablo Picassos Pariser Mentor, den Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler, habe ich als Student bei einem Vortrag in Wien in der Albertina kennengelernt. Auf meine Frage, ob ein Künstler mit einem Kunsthändler zusammenarbeiten soll, antwortete Hr. Kahnweiler sinngemäß: „Wenn der Künstler vom Kunsthändler nicht ausgebeutet wird, dann schon.“ Leider war dies selten der Fall. Ich habe mich von diesem Statement lenken lassen und verzichte bis heute auf die Zusammenarbeit mit einem etablierten Kunsthändler und damit auch auf dessen Netzwerk.
O.N: Kann ihr künstlerisches Schaffen auch in Zahlen ausgedrückt werden?
Prof. Christian: Bis dato hatte ich weltweit 136 Ausstellungen und in meinem Werkverzeichnis finden sich 14.800 Werke (inkl. Druckgrafiken). Als Vergleich: Picasso hat ca. 80.000 Werke (inkl. Druckgrafiken) geschaffen.
O.N: Können ihre Werke einem Kunststil zugeordnet werden?
Prof. Christian: Ich bin ein Mitläufer der „Wiener Schule des phantastischen Realismus“, ein Kunststil der dem Surrealismus nahesteht. Unter anderem habe ich Ernst Fuchs und Wolfgang Hutter als Student dort kennengelernt. Die Mitglieder dieser Künstlergruppe waren aber ca. 10 Jahre älter als ich.
O.N: Im Surrealismus steckt viel Interpretationsspielraum. Welche Botschaften wollen sie mit ihren Werken vermitteln?
Prof. Christian: Viele meine Werke verkörpern einen politkritischen Hintergrund. Der aufmerksame Verstand, das kritische Hinterfragen von Dingen, eines Zustandes, einer Information ist mir wichtig. Entsprechende Botschaften finden sich vor allem in meinen ca. 4.000 satirischen Zeichnungen.
Der Unterschied zwischen Information und Wahrheit hat sich bei mir als Kind schon in den Kriegsjahren eingeprägt. Der Widerspruch zwischen dem noch als Kind im „Volksempfänger“ (Radio) Gehörtem und der Wirklichkeit war groß.
Informationen kritisch zu hinterfragen ist daher eine wichtige Eigenschaft, welche ich mit meinen Kunstwerken auch vermitteln will.
O.N: Das Wort Kunst steckt auch im Lebenskünstler. Könnten sie von der Kunst leben?
Prof. Christian: Bisher habe ich ca. 5.000 Werke verkauft. Die Kunst war aber nie meine finanzielle Basis und darauf habe ich es auch nie angelegt. Meine Eltern haben mich immer davor gewarnt, die Kunst als einziges Standbein zu sehen.
Sie haben meinen künstlerischen Drang allerdings nie gebremst und unterstützten meine Entscheidung ein Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien zu beginnen.
Zusätzlich hatte ich auch Glück im Unglück. In meiner Jugend arbeitete ich jedes Jahr als Ferialpraktikant im Bergbau, um mein Taschengeld aufzubessern. Eines morgens bin ich bei der Brecheranlage im Magnesitwerk insgesamt 16m abgestürzt, davon 8m im freien Fall. Ich hatte riesiges Glück, nur Leber und Lunge hatten Verletzungen erlitten.
Nach dem Unfall erhielt ich eine monatliche Abgeltung der Unfallversicherung, damals 458.- Schilling, bis knapp vor Studienende. Ich konnte daher im Vergleich zu anderen Studierenden sehr gut leben.
O.N: Neben der Kunst gilt die Geschichte als ihr 2. wichtiges Standbein. Wie sind sie zu den Römern gekommen?
Prof. Christian: Daran ist mein ehemaliger Nachbar, der damalige Werksdirektor Wagner, schuld. In seinem Haus befand sich eine Vitrine mit Fundstücken aus Flavia Solva und auch sehr viel an Literatur dazu. Bereits als 8. Jähriger habe ich mich dafür begeistert und auch die Bücher gelesen.
Bei den Forschungen in Flavia Solva mitzuwirken, war schon damals mein großer Wunsch. So ist es dann auch gekommen.
O.N: Leibnitz war dann viele Jahre ihr Lebensmittelpunkt.
Prof. Christian: Ja, es konnte vieles umgesetzt werden. 2 Museen, die steirische Landesausstellung 2004, Gründung der archäologischen Zeitschrift („Sprechende Steine“), laufende professionelle wissenschaftliche Betreuung und Begleitung der Grabungsstätten in Flavia Solva, u.v.m….
O.N: Für unsere Breitenau wäre ein Museum doch auch eine schöne touristische Ergänzung?!
Prof. Christian: Das halte ich für gut machbar. 3-4 Ausstellungsräume wären kein großes Problem.
O.N: Welche Breitenauer Themen würden sie in diesen Räumen abbilden?
Prof. Christian: Eine Gesteins- und Kristallsammlung – es gibt bereits umfangreiche private Sammlungen in der Breitenau. Dazu natürlich die Bergbaugeschichte vom 7.Jahrhundert bis dato, sowie ein Themenblock über die Bauernschaft und deren Kultur. Abrunden würde die Ausstellung das Thema Kirche und Kultlandschaft Breitenau, auch dazu gibt es viel zu berichten.
O.N: Neben dem Magister in Kunst haben sie auch den Universitätsabschluss für Philosophie. Für sie nur ein Randthema?
Prof. Christian: Ich befasse mich schon mit der Philosophie. In meinen Bücherkästen finden sich einige handgeschriebene lebensuntersuchende Schriften – allerdings in sehr unübersichtlichem Zustand.
Mein persönlicher Leitspruch lautet: „Erzwinge nichts, bleibe locker!“.
O.N: Kommen wir zurück zur Breitenau? Kann unsere Heimatgemeinde auch als ein Schmelztiegel von Kulturen bezeichnet werden?
Prof. Christian: Selbstverständlich. Der Bergbau hat dabei immer eine wesentliche Rolle gespielt. Beginnend mit den Alpenkelten vor ca. 2.500 Jahren, danach slawische Einflüsse ab dem 7.Jh n. Ch. und ab dem 13. Jh. mit den Bajuwaren kam es von Beginn an zu kulturellen Durchmischungen in der Bevölkerung. Einzig „meine“ Römer beeinflussten die Entwicklung der Breitenau nur gering. Die Rohstoffversorgung des römischen Reiches funktionierte aus anderen Quellen.
Ab dem 19.Jh. hat der Bergbau bei uns geboomt und aus der gesamten Monarchie kamen Zuwanderer in unsere Gegend.
Die Breitenauer Bevölkerung kann daher durchaus als Multi-Kulti Gesellschaft betrachtet werden.
O.N: Ihre beiden Eltern waren Lehrer, erlebten sie eine strenge Erziehung? Wie haben sie ihre Kindheit und Jugend wahrgenommen?
Prof. Christian: Die Schule war zu Hause in der Freizeit kein Thema. Es gab diesbezüglich keinen Druck der Eltern. Mein Drang zu erforschen, mein Wissensdurst war schon als Kind sehr groß. Die Hänge des Hochlantsch waren mein Spielplatz. Ich war vor allem alleine unterwegs, auch nachts.
O.N: Bei Kriegsende waren sie 8 Jahre alt, haben sie dazu noch Erinnerungen?
Prof. Christian: Eine für mich skurrile Geschichte war der Einmarsch der Russen am ersten Friedenstag. Um 12:00 wurde der Frieden verkündet – sofort versammelten sich die Menschen am Dorfplatz, tanzten und spielten Musik.
Um 13:45 kamen 2 Lastautos mit russischen Soldaten – es war plötzlich mucksmäuschenstill am Dorfplatz. Der damalige Gemeindearzt Dr. Grawatsch konnte sich mit den Soldaten auf russisch verständigen und die LKW’s fuhren weiter.
2 Stunden später standen 3 russischen Offiziere vor meinem Elternhaus und wir mussten innerhalb einer ½ Stunde das Haus verlassen. Unser Haus wurde zum russischen Offizierskasino und wir zogen zum Haus meiner Großmutter.
O.N: Wenn wir „früher“ und „heute“ vergleichen – gab es früher etwas „Besseres“ ?
Prof. Christian: „Nix!“ Nichts war früher besser. Heutzutage haben wir höheren Wohlstand, bessere Luft, besseres Wasser, eine perfekte Infrastruktur – eine enorm hohe Lebensqualität.
O.N: Aber die Gesellschaft hat sich doch stark verändert, oder?
Prof. Christian: Das Ständedenken hat sich verändert. Gab es früher eine klare Trennung zwischen Bauern, Arbeitern und Bürgerlichen, so sind diese Grenzen heute fast verschwunden. Die Gesellschaft ist allerdings oberflächlicher geworden. Auch persönliche Fertigkeiten waren früher wichtiger als heutzutage.
O.N: Im Jahr 1997 sind sie zurück in ihre alte Heimat Breitenau gezogen!?
Prof. Christian: Ich habe gewusst, was die Breitenau zu bieten hat. Es gibt eine gute Infrastruktur, gutes Wasser und gute Luft. Wir hatten hier auch ein Haus mit viel Charisma.
In Leibnitz hatte ich zusätzlich mit der Hitze im Sommer zu kämpfen.
O.N: Unsere Gemeinde kämpft allerdings mit Abwanderung und geringeren Einwohnerzahlen. Wie beurteilen sie die Gemeindeentwicklung?
Prof. Christian: Aus meiner Sicht gibt es 2 Hauptursachen für diese negative Entwicklung. Wie auch in anderen Regionen und Großstädten gibt es zu wenige Nachkommen in der Breitenau. Viele Eltern wollten ihren Kindern ein besseres Umfeld garantieren.
Zusätzlich verlieren wir Jungfamilien, weil die vorhandene Berufequalität für ein Bleiben oder eine Rückkehr nach der Ausbildung nicht ausreicht.
Wenig positiv im Vergleich zu Nachbargemeinden sehe ich auch die nicht homogene Baukultur in der Breitenau. Andere Gemeinden machen das besser.
O.N: Stimmt es, dass sie ein photographisches Gedächtnis besitzen?
Prof. Christian: Das stimmt insoweit, dass ich mir Gegenstände perfekt einprägen kann. Bilder kann ich im bildhaften Gedächtnis abspeichern. Besonders beim Malen hilft mir das sehr.
O.N: Die obligatorische Schlussfrage: Wo ist ihr Lieblingsplatzerl?
Prof. Christian: Die Riedgraswiese auf der Hofbauer Höhe – ein schöner Spaziergang dorthin.
O.N: Lieber Hr. Prof. Christian, vielen Dank für das ausführliche Gespräch und vor allem auch vielen Dank für die Unterstützung mit Texten auf der Website.
Infokasten MMag. Gert Christian:
Geboren 1937 in St. Jakob, verheiratet, 2 Kinder, 4 Enkel
AHS-Professor, Graphiker, Maler und Historiker
Korrespondent der Historischen Landeskommission für Steiermark,
Präsident des Archäologischen Vereines Flavia Solva,
Obmann des Museumsverbandes Südsteiermark – Archäologie im Süden.
Schule:
5 Jahre Volksschule St. Jakob (1943 – 1948)
3 Jahre Hauptschule Bruck an der Mur (1949 – 1951)
5 Jahre Lehrerbildungsanstalt Graz Hasnerplatz (Matura 1956)
Studium:
1956/57 Universität Graz und gleichzeitig Meisterklasse für Malerei an der Kunstgewerbeschule Graz.
1957/61 Universität Wien (Mag. phil.) und gleichzeitig Akademie
der bildenden Künste Wien (Mag. art).
Beruf:
1962 – 1997 Professor für Kunsterziehung am Gymnasium Leibnitz.
1975 – 1995 jährlich Leitung von künstlerischen Seminaren i. A. des BM für Unterricht und Kunst
Seit 1997 wieder in der Breitenau im Heimathaus wohnhaft (gemeinsam mit Gattin Birgit).



