Der „Breitenauer Stammtisch“ ist heute im Waldpark Hochreiter zu Gast und mit Franz Scheikl und Otto Harrer sitzen zwei echte „Hochlantsch-Climber“ am Tisch.
Ort.News (O.N.): Beide seid ihr in der Breitenau auf die Welt gekommen, sogar die gleiche Hebamme (Fr. Berghofer) hat euch ans Licht der Welt geholfen. Vor allem verbindet euch aber die Liebe zu den Bergen. Gemeinsam habt ihr viele Expeditionen unternommen und dabei immer wieder alpinistische Sonderleistungen erbracht. Wie ist eure Passion zum Bergsteigen entfacht?
Franz: Mit meinem Bruder Günther war ich schon als Jugendlicher im Hochlantschgebiet auf einfacheren Touren unterwegs. Zum Bergsteigen und zu alpinistischen Expeditionen bin ich eigentlich durch Zufall gekommen. Günther und ich haben den Zlattener Karl Gosch am Dachstein kennengelernt. Mit ihm haben wir viele gemeinsame Expeditionen gemacht, z. B. bereits im Jahr 1965 auf den Mont Blanc.
Otts: Der Franz hat diesbezüglich sicher seinen Teil dazu beigetragen. Als Kind habe ich schon mit Begeisterung seinen Expeditions-Diavorträgen zugehört. Einen starken Bezug zur Natur und den Bergen gab es aber schon immer in meiner Familie. Er wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt.
O.N.: Franz, schwere Schicksalsschläge waren in deinem Leben häufig Begleiter. Haben dir deine Expeditionen geholfen, damit besser umzugehen?
Franz: Auf alle Fälle. In der Natur, am Berg und auch bei den Expeditionen gelingt es mir, meinen Lieben näher zu sein. Die Schicksalsschläge, wie der Unglückstod meiner Tochter, bleiben aber ständiger Begleiter.
Meinen Vater habe ich im Jahr 1944 das letzte Mal gesehen. Ich habe diesen Tag noch genau in Erinnerung. Das war auch ein Thema, welches mich immer beschäftigt hat.
Erst mit einer Rad-Pilgertour von Budapest bis ans Schwarze Meer – nach Constanta, wo mein Vater in Cernavoda im Herbst 1944 das letzte Mal gesehen und als vermisst gemeldet wurde – konnte ich diese ständige Ungewissheit gut verarbeiten. Eine halbe Stunde habe ich dort am Meer mit einer Möwe „gespielt“. Irgendwie habe ich die Nähe zu meinem Vater gespürt. In einer Kirche habe ich dann ein Bild meines Vaters vor einer Kerze aufgestellt und gebetet.
O.N.: Schuhe zuzubinden, ist nahezu für alle Menschen eine Selbstverständlichkeit. Für dich Otto ist es eine tägliche Herausforderung?
Otts: Wahrscheinlich war ich einer der letzten Contergan-Fälle in Österreich. Der Wirkstoff Thalidomid wurde Ende 1961 verboten. Ich kam 1962 auf die Welt. Die Gefährlichkeit der Tabletten war bereits davor einschlägig bekannt. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde das Medikament aber weiter vertrieben.
Ich sehe das so: Mitgefühl und auch Unterstützung jeder Art waren nie das Problem. Es hätte genügend davon gegeben. Ich hatte die Wahl, mir helfen zu lassen oder mit höherem Aufwand um die Selbstständigkeit zu kämpfen. Ich bin sicher öfter umgefallen als andere, bin mehr gefordert worden oder musste mich mehr anstrengen. Mir war das Kämpfen, der härtere Weg, lieber. Am Ende hat mir das auch später bei meinen Expeditionen geholfen.
Wichtig war auch, dass ich in meiner Kindheit, in der Schule, von meinen Freunden und Schulkollegen sehr gut akzeptiert und so wie ich war anerkannt wurde. Es wurde kein Unterschied gemacht.
O.N.: Contergan, ein unzureichend getestetes Medikament mit enormen Folgewirkungen. Zu den aktuellen Corona-Zeiten werden Impfstoffe im Schnellverfahren entwickelt. Was ist eure Meinung – gerade mit dieser speziellen Vorerfahrung?
Otts: Mein Standpunkt ist eindeutig. Eigentlich besteht für alle eine „moralische Verpflichtung“ sich impfen zu lassen, sich selbst und vor allem auch andere zu schützen. Wenn jeder alles verweigert, dann geht das Leben nicht weiter. Die Impfstoffe sind wissenschaftlich gut erforscht. Das war übrigens auch beim Contergan der Fall – das Wissen zum Wirkstoff und auch die Risiken waren wissenschaftlich bekannt. Vielmehr wurde das Risiko von der Industrie bewusst und leider zu lange in Kauf genommen. Dieses Problem sehe ich bei den m-RNA-Corona-Impfstoffen nicht.
Franz: Ich habe schon beide Impfdosen erhalten. Viele Kinderkrankheiten wurden durch Impfungen ausgerottet. Auch auf Expeditionsreisen sind Impfungen Standard. Die Nebenwirkungen waren häufig stärker als bei den jetzigen Corona-Impfungen. Die Impfverantwortung sehe ich auch als Verantwortung gegenüber den anderen.
O.N.: Franz, seit 50 Jahren ist ein Hörgerät dein Begleiter. War das schlechte Hören für dich eine Belastung?
Franz: Beim Bundesheer habe ich noch normal gehört, erst seit meinem Unfall im Bergbau habe ich das Hörproblem. Weniger das schlechte Hören hat mich gestört, sondern mehr war der Umgang der Menschen mit diesem Problem die Belastung. In früheren Zeiten, aber zum Teil auch heute noch, wurde man mit einer Hörbehinderung als Depp hingestellt und sofort schlechter eingestuft. Das hat mir anfangs wirklich weh getan. Mein erstes Hörgerät habe ich im Jahr 1971 erhalten, diese Geräte waren natürlich noch viel schlechter und auffälliger als heute. In der Zwischenzeit habe ich mich damit abgefunden. Es hat aber lange gedauert, bis ich das verarbeitet hatte.
O.N.: Als Pionier giltst du auch durch die Errichtung des 1. Klettersteiges auf den Hochlantsch. Schon vor Corona-Zeiten ist ein echter Kletter- und Trekkingboom ausgebrochen. Im letzten Jahr hat sich dieser Trend noch weiter verstärkt. Wie bist du auf die Klettersteig-Idee gekommen?
Franz: Anfang der 70er-Jahre entstanden in Tirol die ersten Klettersteige. Ich wollte auch weniger alpinistisch geübten Menschen und vor allem jüngeren eine Möglichkeit geben, unsere schöne Natur aus einer anderen Perspektive kennenzulernen. 1975 haben wir den Hochlantsch-Klettersteig errichtet, zuerst war die Wegführung meist in den Rinnen. Später ist der gesicherte Steig dann aus Sicherheitsgründen immer weiter in Richtung Grat gewandert.
Die Errichtung fand nicht ganz ohne Komplikationen statt. Ursprünglich hatte ich in meiner Euphorie den Grundbesitzer Dr. Werner Tessmar-Pfohl nicht um Erlaubnis gebeten. Nach einem ausführlichen Gespräch und einer Entschuldigung konnte ich die Sicherungsarbeiten aber weiterführen.
Otts: Es gibt am Hochlantsch noch viele andere von Franz gesicherte Kletterrouten, z. B. den Breitenauer Weg (14 Seillängen, 6–7 Std., Schwierigkeitsgrad 7) oder den Franz-Günther-Weg. Viele Alpinisten, u. a. auch Robert Schauer, nutzen das Hochlantschgebiet als Trainingsgebiet vor Expeditionen.
O.N.: Was war eure eindruckvollsten Expedition?
Otts: Jede Expedition war ein Erlebnis für sich. Mit Bernie Teischl, Hannes Posch und Hubert Leitner (aus Kuchl) habe ich im Jahr 2004 den 8.201 m hohen „Cho Oyu“ im Himalayagebiet besiegt, meinen ersten 8.000er.
Aber auch die vielen gemeinsamen Expeditionen mit Franz waren für mich persönlich ganz besondere Erlebnisse.
Die Expedition im Jahr 1991 zum Nilursprung im Grenzgebiet zwischen Uganda und Kongo, welches immer wieder von kriegerischen Rebellen durchwandert wird, war nicht nur besonders eindrucksvoll, sondern auch ein zusätzlicher Nervenkitzel und geprägt von ständiger Improvisation und Planungsunsicherheit. Dieses Massiv ist eines von nur drei Gebirgen in Afrika mit Gletschern und bergsteigerisch anspruchsvoll.
Der Zustieg zum Ruwenzori-Gebirge (dt. „Regenmacher“) durch tiefen, unberührten Dschungel, durch das Gebiet der Berggorillas (welche wir leider nicht gesehen haben) war schon ein wunderschöner Eindruck – Natur pur. Wir waren drei Wochen völlig alleine – keine Menschenseele weit und breit.
Wir haben bei dieser Expedition dann zwei Gipfel des Massivs besiegt, auch den höchsten Punkt, den Margherita Peak mit 5.109 m Höhe.
Franz: Eine wirkliche Reihenfolge der schönsten Expeditionen gibt es für mich nicht. Jede hat ihre Eindrücke hinterlassen. Die erstmalige West-Ost-Überschreitung des Kilimandscharo im Jahr 1972 mit Karl Gosch als Expeditionsleiter, meinem Bruder Günther, Christine Dangler, Hans Remele und Anton Gaulhofer war meine erste Afrika-Expedition. Bergsteigerisch besonders anspruchsvoll war die Bewältigung einer hohen senkrechten Eiswand, welche wegen der hohen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht mit europäischem, hartem Eis nicht vergleichbar war. Insgesamt waren wir innerhalb der dreitägigen Gipfelüberquerung 55 Stunden auf den Beinen. Eine körperlich sehr anspruchsvolle und auch nicht ungefährliche Expedition.
Aber auch die vielen Expeditionen nach Südamerika, in die Atacama-Wüste, zu den Anden, waren wundervolle Erlebnisse und immer wieder auch anspruchsvolle Touren.
O.N.: Im Alpinismus generell, aber auch bei den Expeditionen gibt es immer wieder riskante Situationen zu meistern. Das Risiko ist ein ständiger Begleiter. Gab es für euch schon Situationen, welche absolut am Limit waren? Wie geht ihr mit dem Risiko um?
Franz: Ich denke, jeder Bergsteiger ist sich bewusst, dass etwas Unvorhersehbares passieren kann. Der Berg ist immer der stärkere. Besonders großes Glück hatten meine steirischen Kameraden und ich bei einer Expedition in Peru (zur Pucahirca-Gruppe in den nördlichen Anden). Das Ziel war den höchsten Gipfel (6.050 m) über eine Direktroute, welche über eine 1.200 m lange Eiswand führt, zu besteigen. Der erste Tag in der Eiswand verlief noch planmäßig. Nach einer Nacht im Biwak auf 5.600 m Höhe, starteten wir den weiteren Aufstieg durch eine 70 Grad steile Eisrinne. Am späten Vormittag passierte einer jener Unfälle, welcher trotz aller Vorsicht niemals auszuschließen ist.
Eine Gipfelwächte löste sich einige hundert Meter über uns und stürzte genau auf uns zu. Knapp 40 Meter über uns schlug der Eisbrocken mit Getöse auf und zersplitterte in tausend Trümmer. Die Beine wurden mir weggerissen und es trafen mich Eisbrocken am Kopf und an der Schulter. Ich hatte Riesenglück. In der Schlaufe des fest im Eis hängenden Eispickels konnte ich mich festklammern. Meine beiden Kameraden wurden nur leicht verletzt. Aber an ein Weiterklettern war nicht mehr zu denken. Wir mussten mit dem viel zu kurzen, zerfetzten Seil den Rückzug antreten.
Gezeichnet von den Verletzungen, aber mit der tollen Hilfe meiner Kameraden, war dieser schwer genug. Unsere Kameraden haben das Unglück vom Hochlager aus verfolgt und kamen uns ebenfalls entgegen.
Besonders in Erinnerung ist mir auch das Drama am Big Lenin (dritthöchster Berg Russlands, 7.184 m), wo acht gut ausgebildete russische Bergsteigerinnen wenige Tage nach unserem Gipfelsieg wegen eines Wetterumschwungs beim Abstieg erfroren sind.
Otts: Auf jeder Tour ist man bemüht, das Risiko zu minimieren. Optimale Vorbereitungen, Training in Höhenlage und das Automatisieren von Abläufen ist extrem wichtig. In der Höhe funktioniert das Hirn wegen des geringen Sauerstoffgehaltes schlechter. Wegen meiner Körperbehinderung musste ich mir eigene Techniken zulegen und diese extrem gut eintrainieren.
Und es sind oft nicht die großen Expeditionen, wo Gefahrensituationen entstehen. Bei meiner letzten Großglockner-Besteigung mit meiner Familie wurden wir von einer Eis- und Steinlawine überrascht. Nur mit viel Glück sind wir nicht abgestürzt. Mein Vater hat sich schwer verletzt und er musste mit dem Hubschrauber geborgen werden.
Besonders positive Erinnerungen habe ich von der Gasherbrum-Expedition. Wir konnten einen höhenkranken kanadischen Bergkameraden von 7.000 m bis ins Höhenlager transportieren. Er hat überlebt. Mein Semriacher Bergkamerad Toni Rumpl hat dabei Übermenschliches geleistet.
O.N.: Als Obmänner der Naturfreunde engagiert ihr euch auch in der Breitenau. Was benötigt die Gemeinde?
Otts: Es gibt ein großes Team bei unserem Verein. Dies macht es für den Obmann viel einfacher. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich auch gerne bei meinem Team für die Unterstützung bedanken.
Ich denke, das Angebot für den Tourismus gehört gestärkt. Aus meiner Sicht haben wir z. B. zu wenige Beherbergungsmöglichkeiten. Die Zimmer beim GH Hofbauer sind sehr schön und das Umfeld passt. Übernachtungsmöglichkeiten von dieser Qualität gibt es zu wenige bei uns.
Franz: Die weitere touristische Aufschließung unserer Heimat ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt. Mir fällt als Beispiel die Erschließung von Mountainbike-Strecken ein.
Otts: Wir sind aber diesbezüglich auf einem guten Weg. Dies zeigt ja auch das Engagement des heutigen Gastgebers.
O.N.: Vielen Dank für das Gespräch und die vielen spannenden Geschichten. Es gäbe noch viel von euren Expeditionen zu erzählen …
Gemeinsame Infobox Franz Scheikl und Otto Harrer:
+ Geboren in der Breitenau
+ Hebamme Fr. Berghofer
+ Expeditionsbergsteiger und Naturliebhaber
+ Naturfreunde-Obmänner
+ Tagebuchverfasser
+ Lieblingsplatzerl: Hochlantsch
Franz Scheikl:
+ Jahrgang 1938, geb. in der Breitenau
+ 8 Jahre VS in St. Jakob
+ Zimmererlehre im Werk Breitenau
+ Bergmann in der Breitenau bis 1993
+ Naturfreunde-Obmann von 1979 bis 2001
+ Treuer Schüsserlbrunn-Helfer (u. a. ehem. Pfarrgemeinderat)
+ Hobbyliterat und Verfasser von Bergsteigergeschichten
DI Dr. Otto Karl Harrer:
+ 1962 in der Breitenau geboren
+ VS Breitenau, Gymnasium Bruck/Mur
+ Studium „Hüttenwesen“ (aber NICHT beim Steir. Jokl)
+ Promotion 1993 mit Auszeichnung
+ 25 Jahre Universitätsassistent Montanuni Leoben
+ Seit 2013 Angestellter Voest Alpine Donawitz
+ Naturfreunde-Obmann seit 2001





