Mr. Bojarit – nur wenige Personen sind Namensgeber für ein Mineral

Hallo Hans-Peter,
vielen Dank, dass du dir Zeit für ein Gespräch nimmst. Die Mineralogie ist nicht nur dein Beruf, sondern auch deine Passion.
Du hast sozusagen dein Hobby zum Beruf gemacht.

Was macht ein Mineraloge? Welche Aufgaben deckst du im Universalmuseum Joanneum ab?

Der Geologe beschäftigt sich mit den groben Strukturen der Erde, den Gebirgsbildungen, den Gesteinsformationen und den Gesteinen selbst.
Der Mineraloge beschäftigt sich mit den Details im Gestein, z.B. mit der chemischen Zusammensetzung, der Bestimmung von einzelnen Phasen,
der Kristallstruktur also quasi den atomaren Zusammenhängen.

Im Museum arbeite ich als einer von 3 Mineralogen. Ich bin mehr der wissenschaftliche Mineraloge im Labor und weniger der Sammler in der Natur.
Meine Hauptaufgaben als Kurator sind die Akquisition, Erhaltung und Erforschung von Sammlungen, sowie die Betreuung und Verwaltung der Laboratorien,
als Servicestelle für alle wissenschaftliche Arbeiten im Haus.
Unter anderem analysiere ich auch die Nierensteine für Krankenhäuser.

Was war der Auslöser für deine Passion? Gibt es ein besonderes Erlebnis dazu?

Einen besonderen konkreten Anlass gibt es nicht. In meiner HTL-Zeit habe ich einen Ausgleich zur Technik in der Schule gesucht.
Unter anderem haben die Ausflüge mit den Naturfreunden mein Interesse zur Mineralogie und Geologie geweckt – dort gab es auch Gleichgesinnte.
Auch mein Vater hat meine Leidenschaft immer unterstützt und gefördert.

In deinem Lebenslauf finden sich über 70 Publikationen. An welchen Projekten arbeitest du gerade?

Ich habe nicht mitgezählt, aber es waren schon sehr viele Veröffentlichungen.
In den nächsten Wochen wird ein Projekt mit schönem Bezug zur Breitenau fertig gestellt.
Neue archäologische Grabungen bei einem Schmelzofen im Zuckenhutgraben wurden ausgewertet und wissenschaftlich dokumentiert.
Eine überraschende Erkenntnis war, dass der Ofen kein typischer Schmelzofen war. Der Ofen, sozusagen ein Arsenglasfarbofen,
diente der Gewinnung von Arsensulfidfarben, also orangen Farbtönen.
(Anm. für Interessierte: Viele wissenschaftliche Publikationen auch mit Bezug zur Breitenau finden sich unter https://www.zobodat.at.)

Das klingt spannend. Könntest du in der nächsten Ausgabe der Gemeindezeitung über dieses Projekt genauer berichten?

Sehr gerne. Ich möchte auch erwähnen, dass solche wissenschaftlichen Projekte immer das Ergebnis wissenschaftlicher Teams
aus unterschiedlichen Disziplinen sind – Teamwork ist gefragt.

Unsere Heimat ist ein spannendes Gebiet für einen Mineralogen. Kannst du die Hintergründe ein wenig erklären?

In der Breitenau treffen zwei große tektonische Einheiten aufeinander.
Im Süden das Grazer Paläozoikum. Das ist ein Stapel von Gesteinsformationen, welcher vom nördlichen Graz bis in die Breitenau reicht.
Diese geologische Einheit ist sehr lagerstättenreich. Allerdings viele kleine Lagerstätten, mit einer Ausnahme – dem Magnesit.

Die zweite tektonische Einheit ist das große Kristallin im Norden, vom Rennfeld bis nördlich vom Eibegg.
Unsere Gemeinde ist durch dieses Zusammentreffen unterschiedlichster Schichten und Einheiten eine sehr mineralreiche Gegend mit enormer Vielfalt.
Es zählt österreichweit daher zu den geologisch interessantesten Gebieten – vor allem auch für die Wissenschaft.

Die Entstehung unseres Hausberges ist eine eigene Geschichte. Kannst du die Entstehungsgeschichte für einen Laien erklären.
Wie lange hat dieser Prozess gedauert?

Die gesamte geologische Entwicklung unserer Region hat vor fast 440 Mio. Jahren im Silur und Devon begonnen.
Wir sprechen hier aber von der Bildung der einzelnen Gesteinsschichten und nicht von der Auffaltung der Alpen.

Die Entstehung des Hochlantsches ist ein viel jüngerer Prozess, die sogenannte alpidische Gebirgsbildung.
Dieser Vorgang geht mit der Auffaltung der Alpen einher.
Der Gebirgsbildungsprozess hat vor mehr als 100 Mio. Jahren begonnen, hatte vor ca. 30  Mio. Jahren eine wichtige Phase und
läuft noch immer. Hebung und Abtragung der Alpen halten sich momentan ziemlich die Waage.
Wir sprechen hier von Veränderungen im Millimeterbereich pro Jahr.

Am anderen Ende der Welt ist vor kurzem der Hunga Tonga-Hunga Ha’apai Vulkan ausgebrochen – müssen wir uns Sorgen machen?

Eine vulkanische Tätigkeit in Mitteleuropa ist derzeit unwahrscheinlich, aber niemals ganz auszuschließen.
In Österreich gibt es allerdings keinen aktiven Vulkanismus.
Vulkanische Gebiete sind, neben den üblichen Verdächtigen in Südeuropa, die momentan schlafenden Vulkane in der Eifel,
der Auvergne und des Massif Central, oder in den Karpaten.
Die Breitenauer können diesbezüglich ruhig schlafen.

Du bist der Taufpate eines „hübschen“ neu entdeckten Minerals. Eine Seltenheit – nicht einmal 10 Personen österreichweit besitzen diese Ehre. Wie kam es dazu?

Das stimmt. Ein von einem deutsch-russischen Forscherteam entdecktes Mineral aus Chile wurde nach mir benannt.
Der Bojarit ist ein blauschimmerndes Mineral – mehr ein blauer „Fleck“.

Das Joanneum Team, dem auch ich angehöre, hatte bereits neun neue Mineralien beschrieben, zwei  davon aus  der selben Lagerstätte wie der Bojarit.
Das Forscherteam hat mich daraufhin sozusagen als Namensgeber für ihren neuen Fund ausgewählt.
Kurios ist auch, dass der Bojarit im Jahr 2020 weltweit auch zum Mineral des Jahres gewählt wurde.

Die Breitenau ist ein Bergbaugebiet. Gibt es eine logische Erklärung für diese Tradition seit über 800 Jahren?

Die Breitenau hatte sozusagen das Glück, dass nach Beendigung eines Rohstoffabbaues, immer wieder ein Nachfolger gefunden wurde.
Zuerst am Straßegg die Edelmetalle und Arsen, dann das Eisen an mehreren Stätten bis zum 1. Weltkrieg und danach der Magnesit.
Verbrieft ist der Bergbau seit dem 15. Jahrhundert, eine Bergbautätigkeit hat es möglicherweise schon lange davor gegeben.

Durch den Auffaltungsprozess ist auch ursprünglicher Meeresboden an die Oberfläche gelangt.
Ist unsere Gemeinde auch ein Gebiet für Fossilienfunde?

Durchaus. In den Lantschwänden gibt es Blöcke mit großen Korallen. Die Fundorte halten sich aber in Grenzen,
da sich in unserem Gebiet verschiedene Ablagerungsräume befinden und die korallenhältigen vorzeitlichen Flachwasserbereiche
nur wenig an die Oberfläche gelangt sind.

Wie schaut dein Bezug zur Heimat aus?

Einmal im Monat komme ich in meine Heimat – hin und wieder auch zum Steine sammeln.
Grundsätzlich verstehe ich unter Heimat, den Ort wo meine Lieben sind.
Das sind Mariatrost, Rumänien und natürlich auch die Breitenau.

Was fehlt aus deiner Sicht der Breitenau um mehr als Lebensmittelpunkt anerkannt zu werden? Warum ist der Abwanderungstrend sehr hoch?

Der Vorteil und gleichzeitig der Nachteil ist die Magnesitlagerstätte. Ohne diese wäre die Breitenau ein sehr kleiner Ort mit bäuerlicher Struktur und
vielleicht ein wenig Tourismus. Der Bergbau vereint aber auch die Menschen.

Ich habe einmal den Ausdruck das Grabenland gehört. Es ist für viele schwierig zu verstehen, dass man in einem abgeschlossen Tal sein Leben verbringt.
Die geographische Lage ist natürlich kein Vorteil. Übrigens war ich vor wenigen Tagen wieder daheim – der klimatische Unterschied zu Graz ist natürlich enorm.

Ein grundsätzliches Problem ist auch das Bildungssystem. Die Schulen und Kindergärten in den Dörfern bilden meist den sozialen Mittelpunkt.
Dieser Mittelpunkt ist aus wirtschaftlichen Gründen häufig verloren gegangen.
Umso kleiner die Einheiten, desto besser die Schulen. Weniger Einwohner bedeutet auch weniger Kinder – natürlich stellt sich irgendwann die Kostenfrage.
Grundsätzlich sollte in der Beurteilung des Bildungssystems die Wirtschaftlichkeit den geringsten Stellenwert haben.

Wie Gemeinden solchen Abwanderungstrends aktiv entgegenwirken können, ist schwierig zu beantworten.
Die Industrialisierung hat die Anzahl der Arbeitsplätze reduziert. Die großen Betriebe stehen im globalen Wettbewerb.
Eine Tourismusentwicklung ist in der Breitenau nicht einfach. Die Forstwirtschaft reduziert sich auf wenige Leute.
Für die Landwirtschaft ist das Gelände und der Wettbewerb schwierig. Familienbetriebe sind sehr stabil und häufig die einzige Lösung.
Diese schaffen aber meist auch nur wenige zusätzliche Arbeitsplätze.
Neuen Betrieben fehlt die Anzahl der erforderlichen Kunden.

Im Allgemeinen sind die Menschen sehr mobil. Sie fliegen übers Wochenende nach London, nehmen aber ein kurzes Pendeln nur selten in Kauf.
Mir fehlen dazu konkrete umsetzbare Ideen.

Lieblingsplatzerl?

Auf der Terrasse bei meinem Bruder Werner.
Den Hochlantsch im Blick, so wie ich ihn auch als Kind gesehen habe.

Infobox: Mag. Dr. Hans-Peter Bojar

+ 1967 geboren
+ VS und HS Breitenau a. H.
+ Matura HTL Kapfenberg (Elektrotechnik)
+ Externisten Matura Biologie
+ Studium Mineralogie/Kristallografie an der Karl Franzens Uni Graz
+ Dissertation über die Entstehung der Lagerstätte am Straßegg

+ Seit 1992 Mineraloge am Universalmuseum Joanneum in Graz
+ Mehr als 70 wissenschaftliche Publikationen

+ Verheiratet mit der Geologin Doz. Ana-Voica Bojar, 1 Tochter
+ Wohnhaft in Mariatrost bei Graz
+ Bojarit – Namensgeber für ein Mineral

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